Features and texts of various authors about the artist and his work
Texte von Prof. Baldur Schönfelder
ÜBER DEN KÜNSTLER
Der Künstler ändert sich nicht wirklich, er „entwickelt“ sich auch nicht.
Es verändern sich die Welt, die äußeren Gegebenheiten unter denen er denkt, fühlt, arbeitet.
Indem sich der Künstler den veränderten Gegebenheiten zuwendet, verändern sich auch seine Mittel, seine Herangehensweise. Unverändert aber bleiben seine Sichtweise auf die neuen, veränderten Gegebenheiten.
An seiner Sichtweise, die das Geistige betrifft, ist er deshalb auch zu erkennen.
Sogenannte „künstlerische Handschrift“ ist zutiefst trügerisch! Manier, Manieriertheit ist das Ende jeder Kunst.
B. S., 1993
ÜBER MEIN SELBSTVERSTÄNDNIS ALS PLASTIKER
Ich bin Plastiker. Ich will, ich muss über den Raum ohne jede Einschränkung verfügen.
Am Anfang ist NICHTS! Ausgang für meine künstlerische Arbeit ist die totale Leere. Ich genieße die Leere. Ich denke, fühle, taste mich allmählich in die Leere hinein. Die Leere ist mir kostbar.
Meine erste praktische Maßnahme verdient deshalb allergrößte Aufmerksamkeit und Beachtung. Sie ist von großer Tragweite für den Charakter, ja für den Ausgang der Arbeit.
Der „BLOCK“ – gemeint ist das andere, das abtragende, das eigentliche „bildhauerische Prinzip“ – ist, gegenwärtig, schon bedeutungsschweres "Ding", ist, hat bereits Gestalt. Seine schöne Unberührtheit bedeutet stete Verführung! Dieser Verführung erliegen hieße aber die ihm innewohnenden Grenzen zu erkennen, anzuerkennen und zu respektieren.
Dies gerade hielte ich nicht durch, zwängte mich ein, erzeugte große Beklemmung, blendete meine Sinne, blockierte mein Wollen schließlich vollständig.
Ich habe in ganz früher Zeit vielleicht nur ein- oder zweimal überhaupt den Versuch angestellt, mit Schlegel und Meißel zu hantieren, um Steinen mein Wollen aufzudrängen.
Ihrer unberührten Gegenwart ausgesetzt respektiere und schätze ich sehr ihr ausdauerndes Schweigen.
B. S., 1993
FIGUREN IM KLEINEN FORMAT
Für die genialen Steinhandwerker, den Schöpfern erlesener Figuren, Idolfiguren aus weißem Marmor von erstaunlicher bildnerischer Modernität, die auf mehreren der kykladischen Inseln der Ägäis gefunden wurden (und aus dem 3. Jahrtausend v. u. Zt. datieren), wie auch den Schöpfern der vielen schönen Tonstatuetten aus dem 3. und 4. Jahrhundert v. u. Z., die aus den Gräberfeldern von Tanagra geborgen wurden, stellten sich Fragen nach Angemessenheit, nach der Wesensart, nach der Größe ihrer Figuren nicht. Im Gebundensein an Zeit und Ort, in ihrer Bestimmung durch Zweck und Gebrauch, und im Zugriff auf ein verfügbares Material und dessen handwerkliche Beherrschung, waren die Bedingungen und Voraussetzungen für ihr Entstehen gegeben.
Diese kleinen Figuren waren nach heutigem Sprachgebrauch „Waren, Dinge des täglichen Bedarfs“. Sie dienten den verschiedenen kultischen Handlungen. Als Idolfiguren waren sie „das wesenlose Schattenbild“ derer, denen eine Ehrung zuteil wurde: Gottheiten, Verstorbenen, Gegenständen – dienten der Götterbeschwörung und des Fruchtbarkeitskultes oder waren als Beigabe Teil rituelle Totenbestattung.
In den zurücklegenden Jahrtausenden der Menschheits- und Kulturgeschichte ist die Figur im kleinen Format kontinuierlich präsent und wird durch unzählige künstlerisch herausragende Beispiele belegt. Mit Verweis auf ein bis heute ungebrochenes, Tausende von Jahren währendes Kontinuum, verdient diese Gattung des kleinen Formats innerhalb der Bildhauerei zu Recht eine Herausstellung und eigenen Betrachtung: Die ihrer Wesensart und Besonderheit.
Nicht alles, was augenfällig nach Höhe-Breite-Tiefe dem Wesen der kleinen plastischen Form, der „Kleinplastik“ zugehörig scheint, ist Kleinplastik. Dass es hierfür keine verbindliche Definition gibt – gerade auch was das oftmals irritierende Größenverständnis betrifft – wird insbesondere an den Länderbeiträgen internationaler Kleinplastikausstellungen deutlich. Dort sind Arbeiten anzutreffen, die nicht selten die Größe von einem Meter und darüber hinaus aufweisen, neben Arbeiten, die zwischen zwei Händen Platz und Geborgenheit finden können.
Daran wird deutlich, dass ihre Größe nach Zentimetern allein kein taugliches Kriterium für ihre Zugehörigkeit sein kann.
Die Figur im kleinen Format, die Kleinplastik, gewährt – neben der Zeichnung – den direktesten bildnerischen Zugriff und ist somit auch die persönlichste Ausdrucksweise für den tätigen Plastiker.
Die kleine Plastik muss nicht repräsentieren. Die Öffentlichkeit ist nicht ihr Wirkungsfeld. Sie unterliegt keiner bedeutungsschweren Idee, keiner Planung, wie es große Arbeiten oftmals zur Grundlage haben. Vielmehr entsteht sie spontan, wird mehr vom Augenblick bestimmt, vom drängenden Gefühl, vom momentanen Impuls einer bildnerischen Eingebung geleitet, als von kopfständigem Kalkül. Damit ist sie aber keine Skizze, keine Etüde, kein Übungsstück für etwas "Großes".
Die bildnerischen Möglichkeiten der Kleinplastik sind für das „Alltägliche“ bestens prädestiniert. Ihre bevorzugten Themen, Motive, Ideen entstammen noch immer in großer Fülle dem Lebensalltag der Menschen. Das Intime, Vertraute – das Spielerische, Groteske – das Heitere, Traurige – das Genrehafte sind eine ständige Anregung zu sinnlicher Präsenz und Herausforderung, stoffliche Form anzunehmen.
Inhalt/Thema – die Idee –, die Größe, das Material gehören auch im kleinen Werk zusammenbetrachtet. Sie bilden eine Einheit und bedingen sich gegenseitig. Im Bedenken, im Abwägen ihrer Teile – letztlich in ihrer Bestimmung zueinander – wird der schöpferische Prozess eingeleitet, in Gang gesetzt.
Die kleine Plastik soll nach Inhalt/Thema, nach Art und Weise ihres Vortrags etwas zu Bilde bringen, das einer beliebigen Vergrößerung nicht zuträglich ist, ja dieses geradezu ausschließt. Gelungen scheint mir deshalb, wenn sich eine Arbeit, so wie sie sich uns darbietet, derart erfüllt, dass sie weder zur Vergrößerung noch zur Verkleinerung drängt, die Arbeit also „ohne Wunsch“ bleibt, ganz in sich ruht und so als endgültig, als vollendet erfahren wird. Dann tritt das Wesen der kleinen Plastik gültig zu Tage!
Und nicht zuletzt, man muss die Plastik berühren, noch besser: Sie ganz in die Hand nehmen, um ihr Gewicht zu spüren, um die Glätte oder Rauhigkeit ihres Materials mit den Fingern zu erfahren.
Erst so wird sie sich voll mitteilen und erschließen.
B. S., 2006
Rede zur Eröffnung der Ausstellung
AUS DEUTSCHEN GÄRTEN - Baldur Schönfelder
In der Sammlung des Museums Junge Kunst befinden sich zwei Arbeiten des Berliner Bildhauers, eine „Sphinx“ aus dem Jahr 1985 und das „Volkstümliche Instrument“ von 1975. Dieser Künstler ist also für unsere Besucher kein Unbekannter, doch zu behaupten, man kenne dadurch sein Werk, ist natürlich nicht haltbar. Denn er blickt auf einen Schaffenszeitraum von über vierzig Jahren zurück. Da entstanden Objekte, Skulpturen, Zeichnungen und Installationen, häufig als Werkgruppen konzipiert, die sich trotz der unterschiedlichen Motive und stilistischer Wandlungen einem großen Thema verpflichtet fühlen: Die Anwesenheit des Menschen in Gestalt seiner Abwesenheit.
Das bedeutet, das Individuum ist in seinen surrealen, von hintergründiger Ironie getragenen Apparaturen, Zeichen und Torsi immer irgendwie anwesend - es hinterlässt Spuren, Erinnerungen, Projektionsmöglichkeiten. So widmet er sich diszipliniert fabulierend und philosophierend dem Verlust der persönlichen Ganzheitlichkeit in der Spätmoderne. Denn es ist ein kafkaesker Zustand: Das persönliche Ausgeliefertsein einer Gesellschaft, deren Mechanismus bekannt ist, doch an dem man selten etwas ändern kann. In fast allen seiner Werke wirkt ein subtiler Humor, der hintergründig Fallen aufschnappen und etwas Unheimliches ahnen lässt oder sogar die Sphäre des rational Irrationalen berührt. Das Unbewusste, welches uns entgegenschlägt, ist bei ihm mehr ein kollektives, als es ein individuelles ist. Und sein künstlerisches Verständnis widersprach der zeitlos antikisierenden Figurenauffassung und puristischen Materialästhetik, die sich als kennzeichnend für die Bildhauerei in der DDR herausgebildet hat.
Er scheint das Material und die Art und Weise der Formulierung nach einer Idee, nach der zu erreichenden Wirkung auszuwählen. Der Berliner Kunsthistoriker Fritz Jacobi sprach in diesem Zusammenhang von „Ideenplastik“. Es werden Fundstücke aus dem Alltag mit plastischen Formen sparsam kombiniert - oder er baute, wie in dieser Ausstellung ersichtlich, scheinbar mechanische Wirkungsprinzipien „einfach“ nach. Das Bekannte wird in die Weiten des Unbekannten manövriert: unsere Erwartungshaltung ist geweckt – aber nicht befriedigt. Wir landen nicht selten in den Bereichen des bizarr Vertrackten und des subtil Tragischen. Seine unzähligen Arbeiten machen häufig etwas sichtbar, das nun vor uns „steht“ und Raum beansprucht, doch weiterhin für uns unerklärlich ist: irreal-real. Deshalb ließen sich zu seinen künstlerischen Ahnen vielleicht die Surrealisten Max Ernst, Hans Bellmer oder Victor Brauner zählen – doch das sind nur Anhaltspunkte.
Im hochgotischen Festsaal kann aus Platzgründen keine Retrospektive gezeigt werden und selbstverständlich kann sein jahrzehntelanges Wirken als Lehrkraft an der Kunsthochschule Berlin Weißensee hier ebenfalls nicht dokumentiert werden. Aus diesem Grund haben wir uns vor allem auf eine Werkgruppe - die Fallen - konzentriert, die sich der Zeit der gesellschaftlichen Wende direkt oder indirekt widmet: der Zeit der Implosion der DDR und des Zusammenwachsens, was zusammen gehört oder muss.
Schon der Titel AUS DEUTSCHEN GÄRTEN bezieht sich hintersinnig provokant auf des damaligen Kanzlers Versprechen von den „Blühenden Landschaften“.
Aus „Deutschen Gärten“ erblühen unter anderem im Atelier von BALDUR SCHÖNFELDER die Fallen und das für unseren Kulturkreis hoch symbolträchtige, auf dem „Rasen“ aufgebahrte Kreuz - „Ostkreuz.“ (Ein nach vorne abgewinkeltes Brett am Kopfende des gediegen und perfektionistisch montierten Kreuzes assoziiert eine menschliche Figur. Marter, Tod, ewiges Leben - Verzweiflung und Hoffnung verbindet sich unter anderem mit diesem Zeichen.) Der diagonal zum hochgotischen Festsaal ausgerollte grüne Kunststoffrasen unterstützt die Vorstellung von einem Garten, der wohl nie so recht zur vollen Blüte gelangen wird. Auf dem Grün oder auf dem Grau des Ausstellungsraumes stehen weitere Auswüchse aus den „wiedervereinigten“ Gärten.
Es steht die Frage im Festsaal: Fallen von Wem für Wen? Vielleicht könnten zumindest ihre unterschiedlichen Funktionsweisen eine Antwort auf die Frage nach den Fallenopfern, nach den Opfertypen geben? Sind es die neuen und alten Kriecher oder die aufrecht Gehenden? Sind es die Zugvögel unter uns oder die sich im Kreis Bewegenden? Oder diejenigen, die auf Kreditteufel komm raus ihr Haus besitzen müssen? Werden sie mit ihren Sehn- und Habsüchtigkeiten oder mit ihrem Fluchtreflex in die Fallen gelockt oder gar getrieben? Da gibt es die „Große dreiteilige Klappfalle“. (Sie erinnert ein wenig an die Eiserne Jungfrau, ein Folterinstrument, das im 19. Jahrhundert erfunden wurde, um die mittelalterliche Barbarei zu illustrieren.) Die Falle hat beide Gitterflügel geöffnet, als wenn sie das hineintretende Opfer begrüßen und umarmen möchte. Ein anderes Gebilde besteht aus gespannten Drähten innerhalb eines Käfigs; drinnen und draußen befinden sich metallene Vogelwesen. Es sind noch weitere kafkaeske Fallenvorrichten zwischen den gotischen Säulen aufgebaut - sie lassen an Modelle für größere Ausführungen denken. Der Chor der Fallen strahlt eine etwas unheimliche, schicksalhafte Atmosphäre aus, die den Besucher aber nicht davon abhalten wird, diese Vorrichtungen aus allernächster Nähe zu besichtigen – und vielleicht sogar zu testen: „Berühren verboten“.
Die Fallen entstanden im Zeitraum von Mitte der Neunzigerjahre bis in unsere Zeit hinein. Hinzu gesellen sich ein „Verhüllter Torso“ aus dem Jahr 1979, eine Jugendstilvase samt Trichterblumen (2006) aus deutschen Gärten sowie ein unheimliches Nähgerät (Bekanntes Modell, 1993).
All diese Dinge erzählen von einer Bevormundung, von einer Manipulation oder von einer Verhinderung. Diese großen und kleinen Dramen der Entpersönlichung, der Entmündigung und der immer weiter sich auswachsenden Desillusionierung bestehen nicht aus Theaterdonner oder Bühnenzauber. Sie sickern allmählich aus den Kunstdingen heraus - und in unsere Köpfe hinein.
Wer die Zeichen und Objekte deuten und empfinden kann, wird spüren, dass auch die lebensnahe, vielleicht politische motivierte Kunst sich nicht immer mit dem Verschwinden des Anlasses zu einem Dokument verwandelt, sondern etwas ewig zeitlos Aktuelles besitzt.
Armin Hauer
(stellv. Direktor des Museum Junge Kunst Frankfurt-Oder),
am 13. April 2008
Rede zur Eröffnung der Ausstellung, vom 13.04. – 29.06.2008,
AUS DEUTSCHEN GÄRTEN - Baldur Schönfelder
Festsaal Museum Junge Kunst Frankfurt (Oder), Marktplatz 1
Veröffentlichung mit freundlicher Genehmigung des Autors.
www.museum-junge-kunst.de
Eröffnungsrede zur Ausstellung
„Baldur Schönfelder - Plastik und Zeichnungen“
Baldur Schönfelder kommt – wie soviele Berliner Bildhauer – aus Thüringen.
1934 in Hasenthal geboren, lernte er das Handwerk eines Modelleurs, studierte von 1955 bis 1960 an der Kunsthochschule Berlin bei Waldemar Grzimek und war danach vorrangig im baugebundenen Bereich beschäftigt. Erst seit etwa 1970 wandte er sich verstärkt den freiplastischen Arbeiten zu.
Von Anfang an prägte sich in Schönfelders Plastik eine unverwechselbar eigene Stilistik heraus. Und so ist Schönfelder im gewissen Sinne ein „Außenseiter“ in unserer Plastikszene. Seine Arbeiten sind zwar auch in der realistischen deutschen Bildhauertradition verankert, aber nicht in dem Maße, wie das bei einem überwiegenden Teil der Berliner Bildhauer der Fall ist.
Das Studium bei Waldemar Grzimek bildete für seinen Werdegang die entscheidende Basis und vor allem dessen Tendenz zur Überzeichnung und Zuspitzung war es, die Schönfelder aufnahm und in eigener Weise weiterführte. Er bezieht seine Intentionen stärker aus einer künstlerischen Haltung, die in Deutschland nicht so zum Tragen gekommen ist und die letztlich in der verfremdenden Sachlichkeit und visionären Wirklichkeitssicht des Surrealismus ihre Wurzeln hat. Diese, etwas undeutlich als „experimentell“ bezeichnete bildhauerische Ausdrucksform findet sich in einigen Werken von Rudolf Belling oder Oskar Schlemmer, ausgeprägter aber im französischen Kulturkreis bei Max Ernst, beim frühen Giacometti und in den ausgesprochen plastisch empfundenen Bildern eines René Magritte. Parallelen aus der jüngeren Vergangenheit lassen sich in der amerikanischen Pop-Plastik eines Robert Graham oder in der neoveristischen Kunst von Joachim Schmettau aufzeigen.
Wie stets bei solch kunsthistorischer Umfeldbestimmung sind diese Namen und Begriffe nur Näherungspunkte, die Tendenzen andeuten, aber die ganz spezifische persönliche Handschrift noch nicht benennen. Das Charakteristische der Schönfelderschen Arbeiten liegt in starkem Maße in ihrem Zeichencharakter; sie bedeuten Anstöße, die Verstand und Gefühl gleichermaßen beschäftigen; seine Figuren sind keine Identifikationsfiguren, sondern wirken in ihrer Durchdringung von organischer und gerüsthafter Form als schweigend-eigenwillige Sinnbilder.
Bei der Suche nach einer bildhaften Entsprechung für das, was durch Schönfelders Plastiken an prinzipieller Wirkung in uns ausgelöst wird, stieß ich auf die Welt des Krankenhauses. Wenn ich das sage, werden einige von Ihnen zunächst genau so irritiert sein, wie ich es selbst anfangs war. Aber bei weiterem Nachdenken über diese Analogie wurde mir bewußt, daß genau darin das liegt, was seine Plastik weitgehend mitprägt: sie bringt etwas zum Ausdruck, was wir ansonsten aus den verschiedensten Gründen heraus zu verdrängen suchen, etwas, dem wir ausweichen wollen, da es uns Anstrengung und Anspannung abverlangt.
Nehmen wir diesen Vergleich einmal auf, so sind es nicht die äußeren Assoziationen, die durch Gummihandschuhe oder durch reale und plastisch geformte Binden entstehen, sondern die metaphorisch zu verstehenden Existenzmomente, die den Bezug sinnfällig werden lassen: Geburt und Tod, Krankheit und Heilung, verfremdende Verhüllung und elementares Bloßlegen, objekthafte Sterilität und ureigenste Lebensäußerung, Herauslösung aus dem gewohnten Lebenenszusammenhängen und der bedingungslose Verweis auf das persönliche Sein oder auch Isolierung und Meditation. So rührt Schönfelder an Erlebnis- und Daseinsformen, die wir seltener abrufen oder schwerer ins Bewußtsein holen und die uns deshalb in ganz eigener Weise bewegen.
Schönfelder verwirklicht dieses Anliegen in überzeugender künstlerischer Form. Typisch für ihn ist, daß er gezielt Gegensätze so ins Verhältnis setzt, daß eine konzentrierte Spannung entsteht, die sich auf den Betrachter unmittelbar überträgt. Zum Beispiel: Die klar gerundete plastische Form kontrastiert mit der graphische gebrochenen Lineatur; die zeichenhafte Grundform wird mit naturnaher Detailtreue verknüpft; auf die große Weite eines Relieffeldes wird eine kleine, gebunden wirkende Figur aufgesetzt oder die organisch-bewegte Struktur mit der objekthaften Gegenständlichkeit verklammert. Materialität und Entmaterialisierung sind eng miteinander verwoben. Ausdrucksbestreben und Versonnenheit bilden die Pole einer künstlerischen Sprache, die letztlich in Bereiche höchster Empfindsamkeit vorstößt.
Die Ausstellung hier zeigt zwangsläufig nur einen Ausschnitt aus dem Schaffen des Bildhauers – so fehlt etwa die vor wenigen Tagen von der Biennale aus Venedig zurückgekommene „Nike II“, die von der Nationalgalerie angekauft wurde und ihren Platz nun im Epilog-Saal der Ausstellung „Alltag und Epoche“ gefunden hat. Aber die Fassung I dieser beiden Niken, die auf der IX. Kunstausstellung so viel Beachtung fanden, steht hier als großartiges Sinnbild der Mahnung. Was Heiner Protzmann von der Dresdener Skulpturensammlung über sie schreibt, benennt zugleich noch einmal Grundzüge Schönfelderscher Plastik:
„Mit Nike I – II thematisiert Baldur Schönfelder Heimkehr und Ende eines Mythos mit sachlich schneidender Deutlichkeit. Nike I: Schon im zinnweißen, geglätteten Guß ingenieurhafter Präzision spürt man die Todeskälte des Themas. Heute siegt man nicht mehr wie die mythischen fanfarenschmetternden Victorien aller früheren Zeitalter. Dieses Thema ist am Ende: Gewickelte Mumie, bindengepreßtes Profil – doch seltsam bewußtes, wenn auch stummes Bildnis! Zu höchster Intensität gesteigert und gestrafft alle Umrisse, die Büste breit, sehr flach, auf zwei dünnen Ständern, tragisch verschlossen und unentbunden aller Ausdruck…“
Das Werk von Baldur Schönfelder, das in seiner fast provozierenden Kargheit die ständige Aufforderung zur Auseinandersetzung enthält, bildet einen interessanten und wertvollen Beitrag innerhalb der Plastik der DDR und stellt sich uns heute zum erneuten Dialog.
Dr. Fritz Jacobi
(Kunsthistoriker, Berlin)
Rede zur Eröffnung der Ausstellung
„Baldur Schönfelder – Plastiken. Zeichnungen“
Galerie im Turm, Berlin, 2009
Veröffentlichung mit freundlicher Genehmigung des Autors.
Rede zur Eröffnung der Ausstellung
„Baldur Schönfelder und Absolventen der Kunsthochschule Berlin-Weißensee“
Lassen Sie mich mit einer persönlichen Erinnerung beginnen; die auf den Spätsommer 1988 zurückgeht, als ich die Studio-Ausstellung 42 der Nationalgalerie (Ost) mit dem Titel „Ideenplastik – Sinnzeichen in der Bildhauerkunst der DDR“ im Alten Museum vorbereitete. In sie waren Arbeiten von Appelt, Balden, Biebl, Mattheuer, Reinemer, Schmiedel, Ursula Wolf – und von Baldur Schönfelder einbezogen. Die Kollektion Schönfelders bildete dabei mit einer ganzen Reihe von Skulpturen – so seine beiden „Nike“-Büsten – und Zeichnungen einen Schwerpunkt dieser Schau, die das reflektierte, in sich gebrochene, neu verstückte Menschenbild zum Thema hatte. Alle Werke waren im kleinen Katalogheft verzeichnet – nur eines fehlte: Baldur Schönfelders „Großes Kniestück“ – geformt aus Beton, Eisen, und in sich beweglich.
Und damit hatte es folgende Bewandtnis: Einige Tage vor der Eröffnung am 21. September rief mich Schönfelder an und meinte: Herr Jacobi, ich habe da eine Arbeit beendet, die eventuell noch in diese Ausstellung passen könnte. Wenn Sie wollen, schauen Sie sich die mal an! Ich war interessiert, und so steht in meinem Tagebuch vom Sonnabend, dem 17. September: „Will gleich zum Treff mit Schönfelder, der mir seine neueste Arbeit zeigen will…“ Und am Sonntag, dem 18. September, geschrieben um 9 Uhr im Espresso des Fernsehturms, find sich die Eintragung: „Auf dem Wege zum Museum. Schönfelder bringt sein neuestes Werk, das bewegliche ´Knie´. Es wird der Höhepunkt der Ausstellung. Ich habe es gestern bei ihm draußen gesehen – und war zunächst wirklich überrascht, brauchte einige Zeit, um es in den ´Blickwinkel´ zu bekommen. Doch bei längerem betrachten, Überlegen, Abwägen, ob es ins Studio paßt, wurde die Gewißheit immer größer, daß es geht und sogar gut ist. Es ist ein neuer Schritt innerhalb der Plastik Schönfelders!“ Eine aufregende Aktion also, die mir unvergessen bleibt, zumal dieses organisch-abstrakte Werkstück bald darauf von der Nationalgalerie (Ost) erworben und später, nach der Wende, auch zeitweise in der Oberen Halle der Neuen Nationalgalerie präsentiert wurde.
Die von einer ganz eigenen Brechung geprägten Arbeiten des Berliner Bildhauers, der wie viele Berliner Künstler aus Thüringen stammt und im Januar seinen 75. Geburtstag beging, stehen in dieser Ausstellung erneut im Zentrum – umgeben von Werken seiner ehemaligen Studenten, 17 an der Zahl, die hier in einen Dialog mit den Gestaltbildungen ihres einstigen Lehrers treten und dabei doch alle eine eigenständige Position verkörpern. Doch schon bei der Formulierung „verkörpern“ halte ich einen Moment inne, weil genau diese, der Bildhauerkunst eigentlich elementar zugehörige Wertigkeit bei den Exponaten dieser Präsentation nur bedingt zutrifft.
Als ich am Freitag diese Räume betrat, dominierte der Eindruck, daß es hier weniger um das Körperliche im engeren Sinne, als vielmehr um die Entbindung und Durchdringung von Raumspannungen geht, die ein gleichsam entmaterialisiertes Volumenempfinden suggerieren und damit in starkem Maße tektonischen Konstellationen nahe sind. Der Leib, das Gefäß, der plastische Kern treten zugunsten einer in die Sphäre auskragenden, oft linear betonten oder flächig bestimmten Ausformung zurück. Der Baugedanke oder treffender noch das Prinzip des Konstruktiven, der Montage und der Stückung durchwirken die Ausstrahlung dieser Schau. „Ich habe immer gebaut!“, sagte Schönfelder unlängst und fügte noch hinzu, daß er schon als Kind überall Nägel stibitzt habe, um sie in herumliegende Bretter zu schlagen. Für ihn blieb diese Intention des Zusammenfügens, diese handwerkliche Dimension, immer wichtig, aber sie erschöpfte sich nicht in sich selbst. Eine andere, entscheidende Wertigkeit trat mehr und mehr hinzu: Ihre Verankerung lag und liegt in der Verfremdung zu einer fast absurden, zuweilen kritisch zugespitzten oder humorvoll pointierten Form und in der Gegenläufigkeit von Plastizität und Technizismus. So sehr bei ihm die konstruktiven Elemente eine Rolle spielen, so sehr bilden das gleichsam Surreale und die gedankliche Irritation Kernmomente seiner Kreationen.
Nicht zuletzt darin lag wohl auch die Offenheit gegenüber seinen Studenten mitbegründet, die er zu dem führen wollte, was in ihnen selbst angelegt zu sein schien. Mögen dabei seine knappen Bemerkungen auch den einen oder anderen überrascht haben, so wurde trotz der Sprödigkeit mancher seiner Einschätzungen diese öffnende und zu sich selbst hinführende Wegleitung von vielen als produktiver Impuls empfunden. So verwundert es auch nicht, daß hier trotz der durchaus verschiedenen konkreten Ausprägungen unter dem Aspekt der Tiefenstruktur ebenso weitgehende Gemeinsamkeiten zwischen den ausstellenden Künstlern zu entdecken sind: Von der fast spirituellen Entkörperung über die zeichenhafte Verknappung bis hin zu einer unvermutet eingelagerten Sinnstiftung lassen sich Verwandtschaften feststellen, die untergründig wirksam werden und irgendwie jeweils Spurenelemente Schönfelders in sich zu tragen scheinen.
Dessen ungeachtet entfaltet sich in diesen Ausstellungssälen eine weitgefächerte Skala sehr unterschiedlicher künstlerischer Handschriften, die dem vergleichenden Auge nachhaltig Nahrung bietet: So findet sich in den Arbeiten von Thomas K. Müller, Peter Schnaak, Annette Tucholke und Pauline Hoff eine bedeutungshafte Körperlichkeit, in der die plastische Ausformung vorherrscht und die bei aller Brechung und Montage Ganzheitlichkeit versinnlicht. Diese Körperrealitäten setzen auf einen symbolträchtigen Aussagegehalt, in dem die anstoßgebende Gegenläufigkeit irritierende Wirkungen auslöst.
Auch bei Gernot Ehrsam, Henry Stöcker und Simone Neidhard wird diese Freude am kompakten Volumen spürbar, das aus der organischen Form heraus seine Kräfte gewinnt, diese aber in verdichteten Gestaltzeichen einfängt. Der Raum umfließt diese mehrteiligen Gebilde und läßt so einen an natürliche Erscheinungen oder auch an reale Objektwelten erinnernden Gesamteindruck entstehen. Anders in ihrer stofflichen Struktur, aber von einer ähnlichen Intention erfüllt, siedelt sich auch Ev Pommers Wandarbeit in einem solchen Zwischenbereich an; sie verzweigt ihr sensitives Gebilde im Spannungsfeld von Wachstum und Geometrie, was zu einer verhaltenen, dennoch prägnanten Markierung lebendiger Zuständlichkeit führt.
Ganz anders gepolt, erweisen sich die Arbeiten von Rainer Düvell, Karola Teuber, Norbert Poredda und Hans Hoepfner. Sie stehen ganz im Zeichen konstruktiver Materialausformung und tektonischer Raumdurchdringung. Die Strenge der geometrischen Klarheit dominiert, beschwört die erstarrte Welt des Technoiden herauf und trennt zunächst Kernsubstanz und Umraum deutlich voneinander. Doch der ´zweite Blick´ offenbart auch hier eingelagerte Störungen und überraschende Verläufe, die Momente der Transparenz und Instabilität einer scheinbaren Festigkeit entgegensetzen.
Dieser konstruktiv-geometrische Ansatz prägt auch die Werke von Madeleine Mors, Franziska Frey und Veronika Hinsberg, aber sie treiben ihre Gestaltungswelt mit äußerster Konsequenz in eine fast mathematisch entrückte Dimension weiter. Raumpräsenz und Raumentleerung, mithin die Relativität tektonischer Umfassungen durchströmt ihre realen und fiktiven Gefäßvolumen wie ein unendlich anhaltendes Bau-Spiel. In der permanenten Wechselwirkung von Anziehen und Entgleiten fühlt sich der Betrachter in einen eigenartig ortlosen Schwebezustand versetzt.
Letzteres trifft auch – aber in ganz anderer Weise – auf die beinahe naturalistisch herausgeschnittenen Bleistiftfiguren von Eva Steinbach zu. Ihre dramatischen Szenerien erinnern an bedrängende Schattenrisse, vermitteln mit ihrer textilen Streifenstruktur zugleich aber den Eindruck eines seltsamen Stillstandes bewegter Formen. Den Schlußpunkt setzt Hans Georg Koehler gleich zu Beginn der Ausstellung mit seinen beiden vor der Galerie aufgezogenen Spruchbandfahnen. Er greift insistierend auf die Sprache und die appellative Mitteilung zurück. Absolut lapidar läßt er die lesende Wahrnehmung zum Nach-Denk-Anstoß werden. Seine Sprüche „Der Realismus gewöhnt uns an die Niederlage“ und umgekehrt bleiben haften, erinnern zugleich jedoch daran, daß auch für Baldur Schönfelder, den Meister, sehr oft die Titel seiner Arbeiten eine nicht unerhebliche Rolle spielen.
Allein einige Bezeichnungen der hier gezeigten Werke verdeutlichen das: Die 1987 entstandene Bronze eines Kopfes mit gestängeartiger Umklammerung nennt sich „Fütterung“; in der Vitrine vereinen sich spitzige Metallgeräte von 1992 unter dem Titel „Instrumente der Wende“. Aus dem gleichen Jahr stammt die Assemblage aus Holz und anderen Materialien, die die Bezeichnung erhielt „Mißlungener Versuch, die Gestalt einer Kugel zu verbessern“, und das große, eigentlich einladend wirkende Holzgerüst – um 2000 geschaffen – wird als „Käfig“ verstanden. Die Falle kann jederzeit zuschnappen – Vorsicht, die Werke von Baldur Schönfelder können gefährlich sein!
Entscheidend aber bleibt – und damit komme ich zum Schluß –, welche ungewohnt eigenwilligen Gestaltfindungen aus einer Mischung von „Objekt trouvé“ und Phantasie bei Schönfelder entstanden sind – Kreationen, die er selbst als „Erweiterung der Realität“ begreift. Als ich ihn vor kurzem fragte, wie er zu Arbeiten wie Picassos „Stierkopf“ oder Man Rays „Bügeleisen mit Nägeln“ stünde, meinte er nur: „Das hätte ich gern selbst erfunden“! – und lächelte dabei.
Dr. Fritz Jacobi
(Kunsthistoriker, Berlin)
Rede zur Eröffnung der Ausstellung
„Baldur Schönfelder und Absolventen der Kunsthochschule Berlin-Weißensee“
Berlin, Galerie Parterre, 2009
Veröffentlichung mit freundlicher Genehmigung des Autors.
Die in letzter Zeit bedrohlich wachsende Kriegsgefahr veranlaßte Baldur Schönfelder, seine Betroffenheit darüber in den beiden „Niken“ (1981, Zinnlegierung, Bleilegierung) mitzuteilen.
Als Symbol eines Pyrrhussieges stellen sie zwei sich steigernde künstlerische Aussagen über Krieg und Frieden, Sieg und Niederlage dar. Unterschiedliche Grade von Verletzungen aufweisend, sind sie eher Mahn- und Klagefiguren als Siegesgöttinnen. Literarische Anregung zu ihnen war ihm Brechts Aussage über jene Kriege, die einst Karthago geführt hatte: „ Es war noch mächtig nach dem ersten, noch bewohnbar nach dem zweiten. Es war nicht mehr auffindbar nach dem dritten.“ (Offener Brief an die deutschen Künstler und Schriftsteller, 26.9.1951). Der gelungenen und überzeugenden Konzentration Schönfelders auf das Antlitz der Niken gingen im Verlaufe des Entstehungsprozesses durchaus gültige ganzfigurige Studien voraus, die mit ergreifender Körpersprache seelische Erschütterungen mitteilen. Das Thema der Gefährdung und Vergänglichkeit ist sein Hauptanliegen, mit ihm befaßte er sich über Jahrzehnte hinweg, wovon die Bildwerke „Horoshima“ (1965), „Ringende Torsi“ (1973), „Gebändigter Krieger“ (1975) Zeugnis geben.
Fast 25 Jahre lebt und arbeitet Baldur Schönfelder nunmehr in Berlin, einem der Zentren der DDR-Plastik. Mit Beharrlichkeit und Konsequenz hat er in diesen Jahren ein Werk aufgebaut.
Seine Arbeiten, die er in zentralen und regionalen Ausstellungen unseres Landes zeigte, haben die Aufmerksamkeit vieler Kunstinteressierter erregt, weil sie uns berührende Gedanken unaufdringlich und geistvoll, mit schlüssiger und einprägsamer Formensprache vortragen. Sein Gesamtwerk enthält vielfältige Aussagen und Formfindungen.
Einige seiner Botschaften ergreifen mit ihrem eindringlichen Ernst, andere sprechen uns mit ihrer hintergründigen Heiterkeit an, wie beispielsweise der „Sarkophag für eine Gartenschnirkelschnecke“ (1979). Wohl allen gemeinsam jedoch ist ihre gedankliche Vielschichtigkeit. Es geht ihm stets in erster Linie um inhaltliche Anliegen und um ein Angebot von vielfältigen Assoziationsmöglichkeiten. Und ebenso unübersehbar ist, daß er seine Gedanken in Kunstformen umsetzt, denen nicht Züge des Gequälten anhaften. Seine Kunstfindungen bieten dem Auge immer wieder Überraschendes. Er wandelt nicht auf ausgetretenen Pfaden, sondern findet für sich beständig neue Aufgaben und Themen. Wichtige Triebfedern sind dabei Neugierde und Experimentierfreude.
Sie kommen zum Tragen, wenn er in Auseinandersetzung mit Realität und Kunst zu Neufindungen gelangt. Schönfelder führt recht unterschiedliche Möglichkeiten eines spannungsvollen und aussageträchtigen Organisierens künstlerisch gestalteter Räume vor, die in sich geschlossen wirken, die nicht in den umgebenden Ausstellungsraum greifen. Ihre Oberfläche verselbständigt sich nie, immer bleibt sie Begrenzung einer Form, und immer sind Form und Oberfläche einer bestimmten Aussageabsicht gemäß. Bei seinen beiden Niken baute er mit zwei auf Podesten befindlichen Büsten ein Spannungsfeld auf, und bei der zweiten Fassung des „Schneiders von Ulm“ (1976) hängt er den risikobereiten Experimentator an dünnen Drähten in einen Stahlrahmen. Die kreisrunde Bronzeplatte, auf der die Figur der „Mutter Courage“ (1974) ihren Wagen zieht, bezeichnet ihren Aktionsraum und erinnert erst in zweiter Linie an die Drehbühne des Berliner Ensembles.
Schönfelder schafft gedankenreiche Kunst mit hohem ethischem Anspruch, aber er meidet alles Moralisieren. Er neigt zur Gestaltung von Widersprüchlichkeiten in Sinnbilder und Gleichnissen. Doch obgleich seine Arbeiten vielschichtig sind, verlieren sie sich nicht in geschwätzigen Details, immer teilt sich Gedankliches in sinnlich beeindruckender Form mit, wirkt es schlüssig. Er will mit seinen Werken die Phantasie der Betrachter anregen und verlangt mitunter ihre Bereitschaft zu unkonventionellem Sehen. So fordern beispielsweise hinter Masken verborgene Köpfe und verhangene Körperformen Neugier und Nachdenken heraus.
Zentrale Themen seiner Kunst sind die Würde und Verletzbarkeit des Menschen („Niken“), das Verhältnis von Kunst und Wirklichkeit und gewissenloser Umgang mit der Natur („Toter Vogel mit Flöte“, 1963). In einer losen Folge von vier Werken äußert sich Schönfelder zu Fragen von überlebten Machtstrukturen. Ein hoher pyramidal angelegter Faltenwurf der Arbeit „Versteinerung“ (1975) trennt ein winziges Köpfchen als Spitze der Macht von der sie tragenden breiten Basis. Kopflos und begraben unter Stoffbahnen sitzen „König und Königin“ (1975) nebeneinander unter Glas, sie sind nicht mehr als leere Hüllen, Reliquien vergangener Macht. Die „Blaue Marionette“ (1975), eine kunstvoll gearbeitete Gliederpuppe, erscheint unter einem Glassturz, der Distanz gebietet wie die kühle Tönung der Figur. In der „Abdankung des Königs“ (1976) sitzt der Monarch gesichtslos und nackt mit winziger Krone auf dem zu groß gewordenen Stuhl.
Schönfelder trägt seine Anliegen und Mitteilungen in unterschiedlichen Genres vor, bevorzugt in sinnbildhaften, fiktiven Szenen und Stilleben. Historiendarstellungen im engeren Sinne sind nicht seine Sache. Die Auseinandersetzung mit antiker Mythologie spielt jedoch eine Rolle. Neben seinen Niken ist es vor allem das Giebelrelief des Friedrichsfelder Schlosses, das davon zeugt.
In Schönfelders Schaffen gibt es keine formalen Umbruchsphasen. Einige Arbeiten wie der „Berliner Hund“ (1963) oder der „Kleine Artist“ (1962/63) würden heute wahrscheinlich ähnlich ausfallen. Augenfällig ist durchweg die handwerkliche Solidität seiner Arbeiten. Erwähnenswert ist in diesem Zusammenhang, daß er Blei-Zinn-Legierungen selbst gießt, und daß er Gips nicht nur als ein Übergangsmaterial ansieht. Gern kombiniert er unterschiedliche Materialien, dabei bedacht und unaufdringlich ihre ästhetischen Wirkungen für seine Anliegen nutzend. Obgleich seine Ideen für Kunstwerke in erster Linie der Auseinandersetzung mit seiner Umwelt und den gesellschaftlichen und politischen Prozessen unserer Zeit entspringen, verarbeitet er wichtige Impulse aus der Literatur, namentlich aus dem Werk Bertolt Brechts. Selbstverständlich regen ihn darüber hinaus ebenfalls Leistungen älterer und zeitgenössischer bildender Kunst an, sie sind ihm jedoch eher Herausforderung als Orientierungshilfen oder Vorbild.
Da Schönfelder ausschließlich Plastiker ist und der bildsame Ton, der ein spontanes Arbeiten ermöglicht, seinem Temperament sehr entgegenkommt, wird hier auch eine Verbindung zu Waldemar Grzimek evident. Wie seinem Lehrer ist auch ihm an klarer Körperlichkeit und hohem Ausdrucksgehalt gelegen; wie Grzimek weiß er sich in vielen Werkstoffen souverän auszudrücken. Wie zeitgenössische Kunst ihm so manche Reibungsfläche bietet, bezeugt ein instruktives Beispiel: Die Flut von Torsi, die in den 70er Jahren unsere Kunstlandschaft überschwemmte, veranlaßte ihn bei der Arbeit „Torso einer liegenden Figur“ (1976) zu ganz bewußter Zerteilung und verschobener Aneinanderfügung der Teilstücke, auf diese Weise die Zufälligkeit von Bruchstückhaftem befragend. Porträts sind in seinem Werk zahlenmäßig wenig vertreten. Doch ist bei ihm augenfällig, daß er gern den Aktionsraum der zu ehrenden Persönlichkeit andeutet. Die bereits erwähnte Darstellung der „Mutter Courage“ (1974) ist hierfür ein eindrucksvolles Beispiel.
Die beiden eingangs vorgestellten „Niken“, wohl die bisher ausdruckstärksten Werke seiner Hand, waren auf der diesjährigen Biennale in Venedig zu sehen. Sie sind das Werk eines 50jährigen, der ohne Eitelkeit, aber mit großem Engagement und einem gesunden Maß an Selbstvertrauen auch weiterhin machen wird, was seiner schöpferischen Phantasie und seinem Gestaltungsvermögen gemäß ist.
Dörthe Lammel
(Kunsthistorikerin, Berlin,
langjährige Leiterin der Galerie Sophienstraße 8 und Leiterin der Galerie im Ratskeller des Rathauses Berlin-Lichtenberg, www.kultur-in-lichtenberg.de, eMail: ratskeller@kultur-in-lichtenberg.de)
Veröffentlichung in: Bildende Kunst, Heft 11, 1984, Seite 502/503.